Bei der Hochzeit tanzen
Bei der Hochzeit tanzen
Aishe steht mit ihrem jüngsten Sohn vor unserem Tor. Vorige Woche war sie hier, da ihr ein Holzscheit an die Stirn, knapp über dem Auge, geflogen ist. Nun hat sie aber ein wichtigeres Anliegen: ihre Familie muss auf die Hochzeit einer Verwandten und alle brauchen dringend Schuhe zum Tanzen. Als ich sie auf «Social distancing» wegen Covid anspreche, versichert sie mir fast eidesstattlich, dass sie Masken tragen und mit Abstand ihre Tänze machen. So also noch Schuhe. Ich steige hoch in unseren Dachboden und krame nach Schuhen – passend für die Hochzeit. Man muss wissen, dass Aishe mit ihrer Familie in völlig elenden Zuständen lebt, ihr Mann Alkoholkrank ist und ihre Kinder auf dem Müll nach Essen und brauchbaren Sachen suchen. Aishe kommt immer zu uns, wenn es gar nicht mehr geht. Und ihr Jüngster war auch bei uns regelmässig im Kindergarten und konnte so auch eingeschult werden. Dies vergisst sie uns nie. Nun also die Schuhe für die Hochzeit. Bei der Auswahl der Schuhe, die ich vom Dachboden brachte, ist sie durchaus wählerisch und modebewusst. Aber sie ist voll zufrieden. Dann habe ich noch eine Idee. Ihrem Sohn bringe ich einen Anzug von Abri, aus dem er rausgewachsen ist. Der Junge schaut mich fast erschrocken an, bis er begreift, dass dieser Anzug jetzt ihm gehört. Ich sage ihm, dass er bei der Hochzeit nun mit dem Bräutigam mithalten kann, aber er soll eine Dusche machen, bevor er in den Anzug steigt. Er grinst.
Bühnenvorhang zu. Was nun hinter den Kulissen, auch mit den Corona-Beschränkungen, bei den Festen abläuft, das male ich mir gerade aus. Getanzt wird in jedem Fall.