Wenn ein kleiner Junge singt
Wenn ein kleiner Junge singt
Sie sind angemeldet. Zwei Klosterschwestern kommen mit, die Eltern und Salomo. Noch ehe ich den 10-jährigen zierlichen Jungen begrüssen kann, reden mindestens drei von den Erziehern von Salomo auf mich ein: Er hat Autismus, redet nur wirres Zeug und ich soll ihn umgehend nach Deutschland bringen, da dort - laut der Schwester - solche Kids in vier bis sechs Wochen gesund gemacht werden. Ich hole die Erwachsenen erstmal runter und bitte um Geduld, um Zuhören und Zugucken und eins nach dem andern. Ich bitte um Verständnis, dass ich mich erstmal ein wenig um Salomo annehme. Und der ist ganz zugänglich und redet gar kein dummes Zeugs. Schnell habe ich Kontakt und ich sehe keine Spur von Autismus.
Aber er hyperventiliert sofort, wenn sein Vater spricht oder ich seinen Vater anspreche. Ich frage den Jungen, was er denn gerne macht. Er nimmt mich bei der Hand und bittet mich, dass ich mit ihm ein Stückchen weggehe. Er zieht mich zu sich runter, schaut ängstlich in die Runde und singt mir ein wunderschönes altes albanisches Volkslied. Ich klatsche und sage ihm, wie schön er singen kann. Die Erwachsenen staunen. Da löst sich eine kleine Lawine in dem Jungen. Er setzt sich wieder, guckt wieder in die Runde und sagt: «Papa, diese Schwester sagt, ich kann schön singen.» Ich sage: «Ja und Du kannst viel, Du bist ein gescheiter Junge!» Er lacht und wendet sich nun spontan direkt an den Vater: «Papa, die Schwester sagt, ich bin ein gescheiter Junge und du sagst, ich bin ein Idiot.» Er fängt dann spontan an, seine ganze Lebensgeschichte, die voll von Gewalt ist, wie ein Wasserfall zu erzählen – ohne stottern, klar und deutlich. Er hat gelitten. Die Angst vor dem Vater ist massiv. Deshalb haut er auch ab in den Wald. Dort ist es zwar dunkel, aber er hat dort einen Frosch, dem er was vorsingt.
Nun versuche ich, Salomo ein wenig abzulenken und bitte ihn, einen Baum im Wald zu malen. Das macht er sofort. Und ich gehe vorsichtig auf die Eltern zu, auf die Schwestern – die haben ja nicht so tolle Dinge gehört. Und es kommt nun zum Vorschein, dass der Vater von Salomo schizoide Züge hat, aber keine Medikamente nimmt und eine Tragik nach der anderen. Nun der Junge, der nicht der Traumjunge ist für den Vater. Die Mutter weint. Wir werden viel zu tun haben, zumal sie weit weg in den Bergen leben. Und Salomo möchte nicht mehr nach Hause. Wir müssen einen Weg über die Schwestern, die nun mit dabei sind, finden, damit Salomo bald einen lebendigen Baum malen wird und vor allem seine Lieder singen darf.