Er hatte zwei Schwestern
Er hatte zwei Schwestern
Qlerim verlangt nach mir. Die Tochter kommt und bittet um einen letzten Besuch.
Jetzt wissen wir, warum wir ihn im Kastanienhain vor ein paar Wochen nicht mehr gefunden haben. Dort in den Kastanien ist Qlerimi unser Freund geworden. Über Jahre hinweg hat er jedes Jahr für unsere Kids die Kastanien auf seinem Waldgrundstück geröstet. Und jedes Jahr hat er uns die schmackhaften Esskastanien gebracht. Nun wird er gehen.
Sr. Michaela und ich fahren hinaus. Die Tochter wartet an der Strasse. Es eilt – er stirbt. Als wir ins Zimmer treten, da liegt diese hoheitsvolle und mir immer wieder Respekt und Achtung einflössende und doch lebendige Toten-Stille im Raum. Ich weiss: seine Seele ist gerade vom Körper gegangen. Sein Atem hängt noch zwischen uns und der Gottesfriede liegt auf seinem Gesicht.
Es ist nicht so wichtig, ob er uns noch wahrgenommen hat – auch nicht, warum wir es nicht früher gewusst haben. Es ist, wie es ist. Die Zensur hat stattgefunden – nichts mehr ist rückholbar. Und es ist gut.
Wir kondolieren der Familie. Sie sind Muslime und bitten aber um unser Gebet für seine Seele. Es spielt keine Rolle, wie der Name Gottes für sie ist. Und dann nimmt uns der älteste Bruder mit seinem schütteren Haar unvermittelt in die Arme und sagt: «Jetzt kenne ich euch auch. Wir sind 6 Brüder gewesen. Aber Qlerimi kam einen Tag nach Eurem ersten Treffen im Kastanienhain und hat gesagt: «Ich habe nun zwei Schwestern!» Und jetzt weiss ich es auch. Er hatte zwei Schwestern». Wir wussten es nicht.