Die kleine Memi
Die kleine Memi
Ziemlich abrupt stehen sie im Korridor. Der Roma drückt mir ein weisses Bündel in die Hand und sagt: «Die gehört jetzt Dir, wir können wieder welche machen!» Das Bündel brüllt und die junge Frau mit einem kleinen Jungen redet auf mich ein und sagt, dass das Baby einen Hautpilz hat und sie arm sind und dann redet der Mann wieder und sagt: «Ich habe doch gesagt, wir schenken sie Dir!» Er sagt mir, dass er der Opa ist. Ich habe das Baby immer noch im Arm und denke, dass es leicht wie eine Feder ist. Dann frage ich die Mutter, wie viele Tage alt denn ihre Kleine ist und sie sagt: «Drei Monate.» Und die Kleine schaut mich mit einem ganz alten Gesicht an und ich ahne, was los ist. Sie ist am Verhungern.
Ich frage die Mutter, wie oft denn die Kleine trinkt und sie sagt dann, dass sie zwei bis dreimal am Tag ihr Baby stillt. Irena wiegt die Kleine und sie hat gerade mal 2.300 Gramm. Ich frage die Mama, wieviel Memi, so heisst die Kleine, denn bei der Geburt gewogen hat und sie sagt: 2.400 Gramm. Dies klingt für mich wie das Todesurteil für die Kleine. Ich weiss, dass jetzt jede Stunde zählt und ich muss es schaffen, der Mama und dem Opa ihre Verantwortung klar zu machen und irgendwas wecken, damit das Baby endlich versorgt wird. Es ist mir bei diesem Gespräch schnell klar, dass die Kleine völlig vernachlässigt ist. Die Mutter hat noch zwei weitere kleine Jungs und ist immer auf der Strasse beim Betteln. Sie muss kapieren, dass sie Mutter ist, dass die Kleine sie braucht. Ich appelliere an ihr Mutter-herz, alles andere ist für die Katz. Den Opa verpflichte ich bei Allahu, seinem Gott, zur Sorge um seine kleine Enkelin. Er wird ernster. Wir kaufen Babymilch gleich drüben bei der Apotheke, dann zeigt Irena der Mutter, wie sie diese bereiten muss. Dann gebe ich klare und auch strikte Anweisungen zur weiteren Versorgung der kleinen Memi. Ich mache nochmal klar, dass sie sonst in einigen Tagen verhungert sein wird. Dushe, die inzwischen auch im Korridor steht, und die «Bürgermeisterin» in der Romasiedlung ist, erklärt sich bereit, die beiden zu unterstützen und auch anzuweisen. Ich bin froh, dass Dushe diese Arbeit über-nimmt. Und in einer Woche wird die Mama wiederkommen und wir hoffen, das Memi dann wenigstens das Geburtsgewicht erreicht hat. Heute gehe ich in die Nacht und weiss, dass die kleine halb verhungerte Roma mit ihren grossen Augen und ihrem uralten Gesicht mein Herz geklaut hat.