Eine kleine Wandlung
Eine kleine Wandlung
Er kommt an, weil er sich beim Raki - Schwarzbrennen den ganzen Fuss verbrannt hat. Mit seinen 63 Jahren ist er gewohnt, dass man über Frauen einfach bestimmen kann und sogar muss. Er grölt rum und äussert seinen Unmut über sein Schicksal. Und es klingt selbst verhöhnend, als er rausposaunt, er sei noch nie einem Doktor unter die Finger gekommen und noch nie habe er auch nur eine Tablette geschluckt. Ich wage zu sagen: «Dafür bist Du dabei, deinen Körper mit Raki und Zigaretten zu ruinieren». Er schaut mich entgeistert an und ich weiss nicht, ob er mir jetzt eine runterhaut. Er hyperventiliert. Ich schaue ihm fest in die Augen und wiederhole meine Worte. Da nickt er doch glatt etwas betroffen.
An seinen Hosenbeinen pappt der Kuhmist und er stinkt wirklich so übel nach Urin und Eiter seiner Wunde, dass ich mir glatt überlege, ihn nochmal wegzuschicken, damit er erstmal die seit Wochen fällige Dusche macht. Ich gebe zu, ich muss mich ein wenig am Behandlungs-tisch festhalten, um nicht rauszulaufen. Die Wunde ist übel, da der Alte fünf Tage aus Ärger über sein Schicksal gewartet hat. Länger darf man nicht mehr warten. Er nimmt mich nicht ernst, als ich ihm sage, dass sein Fuss schlimm ausschaut. Ich behandle ihn ruhig und bleibe dran.
Dann sage ich ihm den neuen Termin am nächsten Tag und dass ich ihm dann die Füsse hier waschen werde und ich frische Socken für ihn habe. Ich kann das im Moment nicht tun, da etliche andere Patienten warten. Er guckt verdutzt. Ich ringe ihm das Versprechen ab, dass er wiederkommt.
Und dann steht er nun wieder da: Er lächelt und ist geduscht und im Sonntagsgewand. Er kommuniziert und küsst mir doch glatt die Hand. Er ist umgänglich und kommuniziert völlig respektvoll mit mir. Und mir scheint, er ist der Mensch, der zu seiner Menschenwürde zurückgefunden hat – wenigstens für einige Momente.