Hausen im Chaos
Hausen im Chaos
Die Nacht war mit starken Gewittern und einer schweren Demonstration in Tirana unruhig. Im Kinderhaus stand dann heute früh unsere Küche unter Wasser und in Tirana wurde der grosse Christbaum in Flammen gesetzt und umgeschmissen. Axel fährt mit mir zu Qamili, einem steinalten Siedler hier, der gar nicht weiss, wie alt er eigentlich ist. Wir trafen ihn gestern am Weg und er zeigte mir eine entzündete Wunde an der Ferse. Ein Draht hat sich durch die Haut gebohrt und nun Spuren hinterlassen. Wir haben das Verbandszeug eingepackt und fahren durch die mit Wasser gefüllten Schlaglöcher. Es sifft voll runter. Die Frau von Qamili kommt gleich raus und flüstert mir zu, dass „er gar nicht auf sie hört“. Dann treten wir durch eine rostige Tür in das verrottete Anwesen. Überall liegt etwas rum: Alteisen, rostige Blechteile, Plastikfetzen, Stofffetzen, einige tropfende Kleider hängen auf einer Leine, einige Blumentöpfe, riesige halb verfaulte Kürbisse, ein Waschbecken in dem sich die zwei wohl im Freien ab und zu waschen, wenn der Regen eine Dusche macht, wie heute. Wir können nicht in die elende Hütte, da der Regen in der Nacht alles sozusagen „aufgeweicht“ hat. Es riecht modrig. In einem anderen Raum wird nasses Holz verheizt und beisst mir bis in die Lungenspitzen runter…Der kleine Hund kläfft an der kurzen Leine. Ich denke daran, wie die beiden vor Jahren schon ihren Sohn wegen Blutrache verloren haben. Dann hat die Tochter sich in Männerkleidung geschmissen und ihren Bruder gerächt.
Seit Jahren hausen sie nun alleine. Die Zwei machen aber einen durchaus zufriedenen Eindruck; unser Besuch erfreut sie sichtlich. Dann verarzte ich die Ferse von Qamili draussen, da es in dem nassen durchweichten Chaos drinnen einfach keinen trockenen Fleck und vor allem auch kein Licht gibt. Dann kommt das Highlight für Qamili. Wir haben einige Riegel Schweizer Schokolade aus unseren Hilfspaketen mitgebracht. Ich stecke ihm ein Stück in den Mund und seine klugen Augen blitzen wie bei einem kleinen Spitzbuben. In seinem ganzen Leben hat er so was noch nicht genossen. Wir versprechen ihm eine Fuhre Holz und vor allem ein paar ganze Schuhe.