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Seele, wohin gehst du?

 

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Freunde in der Heimat


Grüss Gott Euch allen an diesem lauen Frühlingstag. Ich hoffe, Euch allen geht es soweit gut und Ihr dürft ein wenig den Frühling verkosten. Das tun auch wir hier, da in unserem Garten die Osterglocken, Hyazinthen und die ersten Obstbäume blühen. Diese Freude ist auch den Armen gegönnt, wenn sie durch unseren Garten hierher kommen. Die Zeit verfliegt so schnell und viel haben wir zu berichten.


Zuerst jedoch möchte ich Euch allen danken, dass Ihr uns nicht vergesst, dass Ihr nach wie vor Eure Solidarität zeigt und so viel Hilfe leistet. DANKE von Herzen. Mit Euch teilen wir die vorösterliche Buss- und Fastenzeit und wir wünschen einem jeden von Euch reiche Gnade in dieser besonderen Zeit der Besinnung und Erneuerung. Besinnung in einer scheinbar besinnungslosen und chaotischen Welt ist unsere Sehnsucht und unser Gebet. Die politische Situation hier ist seit Wochen chaotisch.  Die Atmosphäre ist spannungsvoll und viele hier bangen, wie es weitergehen kann. Die Opposition hat ihre Mandate im Parlament niedergelegt. Wir sind teilweise auch angespannter, aber nicht ängstlich. Ich stelle aber fest, dass ich irgendwie manchmal wie überwach bin. Wir gucken, dass wir unsere Autotanks gefüllt haben, dass unsere Gasflaschen zum Kochen voll sind, dass wir genügend Trinkwasser im Vorrat haben. Es ist wirklich das erste Mal (und ich bin im Mai 20 Jahre hier), dass die politische  Situation so unsicher ist. Es ist eine Erfahrung, die uns auch neu herausfordert. Die Menschen, die hierher kommen, suchen irgendwie auch nach Sicherheit; viele fragen, ob wir sie nicht ins Ausland bringen können. Mein Thema ist gerade „Ohnmacht.“ Und das Aushalten einer Spannung im Volk, die sich jederzeit entladen kann. So leben wir wirklich den Augenblick, schätzen umso mehr jeden Tag, der friedlich abgeht und  beten und hoffen, dass Ordnung geschehen darf. Wir versuchen, die Tage so normal wie möglich zu leben, obwohl der Schatten der teilweise gewaltvollen Demonstrationen und Unruhen in der Hauptstadt uns begleitet.  So eine Herausforderung hatten wir bisher nicht. Umso mehr wissen wir um den Gott, der da ist und den Weg weist.


Und so ist unser Alltag neben diesem „Gespenst“  intensiver denn je. Immer mehr  aus der Bevölkerung wollen noch abhauen; es ist ein Exodus im Gange, der das Land ausblutet. Immer mehr alte Menschen bleiben unversorgt zurück, stranden mehr oder weniger pflegebedürftig in unserer Ambulanz. Aussichtslosigkeit bis zur Verzweiflung greifen wirklich gespenstisch um sich.


Der Bischof von Rreshen im Nordosten hier hat Alarm geschlagen ob der massiven Armut in der Gegend und den gespenstisch leeren Dörfern. Vor wenigen Jahren hatte ein sehr schönes Dorf noch 100 Schüler, heute ist noch ein Schüler da. Auch aus der Jugendgruppe gehen einige Jugendliche weg, die hier zwar studieren, aber keine Chance mehr sehen. Im Ausland können sie höchstens Hilfsarbeiten erledigen oder irgendwo versumpfen. Wir versuchen, mit viel Gespräch und Kontakt und auch Studienhilfen die jungen Menschen zum Bleiben zu bewegen. Welche Hoffnung haben wir für dieses Land? Diese Frage stellen die jungen Leute uns sehr, sehr oft. Und diese Frage stellte mir vorgestern ein Vater eines zwölfjährigen Jungen. Er will nichts wie weg mit seinem schwer kranken Kind. Ich kann ihm dabei nicht helfen. Das versteht er natürlich nicht. Der Junge wurde mit einer Niere geboren. Es ging alles gut – bis er vor 8 Wochen hohes Fieber bekam. Hier im Krankenhaus sagten sie dem Vater, es wäre halt eine Grippe und gaben ihm Paracetamol. Die schwere Niereninfektion wurde übersehen, obwohl der Vater darauf aufmerksam machte. Nun  ist der Junge nach einer Akutbehandlung in Tirana mehr tot als lebendig nach Hause entlassen worden. Die zweite Niere ist „ausgestiegen“ und der Junge hat nun eine Peritonealdialyse daheim. Das heisst, über einen Katheter wird die Bauchhöhle mit Spülflüssigkeit zur Reinigung des Blutes gefüllt. Die Eltern sind völlig überfordert und auch finanziell am Ende. Die Oma hat sich nun noch die heisse Milch über den Fuss geschüttet und der Opa ist pflegebedürftig. Ich habe grosse Achtung, wie der Vater mit dieser Situation umgeht. Natürlich schluckte er, als ich sagte, dass ich ihm mit Ausland nicht helfen kann. Wenigstens konnten wir  Verbandsmaterial, Lagerungshilfe, Bettwäsche usw.  für sein schwer krankes Kind mitgeben. Und so haben wir jeden Tag wirklich Menschen mit immens schweren Schicksalen hier. Was wir vermögen, das tun wir. Mensch sein kann man wenigstens immer. Und so musste ich eben diesen Rundbrief unterbrechen, weil ein Vater und sein kleiner Sohn draussen standen. Vor einer Stunde war durch einen Stromdefekt sein Haus abgebrannt. Der arme Mann hat noch versuche, ein paar Möbel zu retten, was ihm beinahe völlig zum Verhängnis geworden wäre. Nun hingen ihm die verbrannten Hautfetzen von Hand und Arm und das Gesicht ist auch verbrannt.  Der Rauch hat das seine dazu getan. Der Junge war Gott sei Dank nur ganz leicht betroffen. So geht es Tag für Tag; das Krankenhaus versorgt die Patienten schon seit etlichen Monaten im Prinzip gar nicht mehr. Sie werden einfach wieder nach Hause geschickt. Dann kommen sie zu uns. Und so fragen wir uns öfters, wie die Seele dieses so leidenden Volkes Heilung erlangen kann.  Und – auch ohnmächtig  oder armselig – halte ich dieses mir ans Herz gewachsene Volk dem Schöpfer hin.


Ja, und da ist auch wieder das Thema Blutrache. Eben war ein Rächer hier. Der Mann wurde vor einigen Jahren zusammengeschossen und war schwerst verletzt. Ein Bein ist gelähmt. Mit unserer Hilfe konnten wir ihn aufpäppeln. Wieder ist die Hoffnung auf Versöhnung ein Stückchen gewachsen, aber das Umfeld will halt oft genug auch Rache sehen. Wenigstens kommt er und wir können einigermassen offen reden. Ja, die Seele ist verwundet, die Ehre genommen.


Und  die Menschen, die im Kanun leben glauben, dass die Seele erst erlöst ist, wenn gerächt wurde. Mit den Seelen sind sie auf eine Art und Weise verbunden, die uns „Westlern“ wohl sehr fremd ist. Und so haben wir nun dieses Thema der Seele und Blutrache in unserem Drama um Blutrache aufgegriffen. Vielleicht ist es von mir ein verzweifelter Versuch, etwas bewusst zu machen,  zu ändern in diesem tragischen Irrtum der Blutrache. Ich weiss es nicht. In jedem Fall werden wir am Sonntag das Drama: „Seele, wohin gehst du?“ spielen. Dabei ist die Frau im Mittelpunkt, die Mütter, die ihre Söhne zur Rache erziehen, die indirekt das Blut d.h. die Rache fordern. Und so ist dann die Seele zwischen „Himmel und Hölle“ - zwischen Rache und Vergebung. Ich gebe zu, ich bin etwas nervös. Wie wird es ankommen, wenn Jugendliche den Kanun im Drama anklagen? Wenn sie Blutrache als dunkles Werk der Dämonen bezeichnen, wenn das “Dies Irae“ aus dem Requiem  von Verdi der Seele der Mutter die Höllenqual ihres Rächerherzens vor Augen stellt?  Die Jugend ist entschlossen. Sie haben in einem Prozess von langen Jahren erkannt. Und nun  legen sie auf diese Weise ein besonderes Zeugnis gegen diese blutige Tradition des Kanun ab. Dies wissen sie, dafür haben sie sich entschieden. Und so wird es Frühling und wir hoffen auf einen albanischen Frühling der Seelen mit Glaube und Lebenshoffnung.


Mit herzlichen Segensgrüssen
Eure Sr. Christina

 

musical marz 2019

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