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Alles anders ?

Liebe Schwestern und Brüder in der Heimat

Wenn so viele in diesen Tagen ihre geliebte Heimat verlassen mussten, wenn für so viele die Heimat in diesen Tagen zum Grab wird, dann denke ich dankbarer denn je an Euch in meiner Heimat. Und ich grüsse Euch und sage Dank für alle Anfragen in der letzten Zeit, wie es uns denn geht – auch ob der veränderten Situation durch den Überfall auf unsere ukrainischen Schwestern und Brüder und die damit verbundenen globalen Probleme, die halt uns in den armen Ländern härter treffen. Gerne berichte ich von uns hier und wie es uns so geht: «Alles anders!» - so möchte ich sagen und doch wieder «nicht anders».

Ja, ich habe das Gefühl, die Osterglocken draussen blühen anders als vor dem Krieg die Veilchen, die ersten Obstbäume. Ich höre den Wind anders sein Lied singen: als wären die Todesklage und die Angst der Menschheit vor dem grossen Krieg hineingewoben! Ich sehe den Regen fallen, um den wir gebetet haben. Aber er fällt wie die Tränen der Mütter, die ihre Söhne im Krieg verlieren, gerade eben. Und ich lese eben den Kreuzweg, den unser ukrainischer Freund Ivan geschrieben hat – mitten im Krieg. Und ich erlebe mich, wie ich nochmal anders denke, wie ich meinen lila Schleier schon in der Frühe «anders» umbinde, wie ich diese Farbe «violett», die Farbe der Versöhnung und Busse bewusster wahrnehme. Das Leben ist verletzlicher geworden – so scheint es mir. Und es wird mir bewusst, wenn unser Abraham mich plötzlich fragt: «Du, wie weit weg von uns hier ist Odessa?» oder «Wie weit kann eine Rakete mit einer Bombe fliegen?» Und bei Tisch? Wir haben mit unseren Freiwilligen festgestellt, dass unsere Gespräche anderes geworden sind, auch unser Sprachschatz hat sich verändert! Wir reden plötzlich über Lazarett und Panzer und Bomben und Kriegsverletzungen und Gasbrand und Feind und Minen. Unsere Jugendlichen kommen verstört in die Gruppe und sagen, dass es doch gut ist, wenn man Waffen habe daheim. Das sind so unsere «inneren Befindlichkeiten». Der Ukrainekrieg hat hier die Kosten explodieren lassen. Ob dies jedoch nur der Gewinnsteigerung der grossen Unternehmer zuzuschieben ist, dies wissen wir nicht. Schwester Michaela hat überall noch preislich erschwingliche Lebens-mittel eingekauft, damit wir die Armen noch eine Weile versorgen können. Zwischendurch gab es weder Mehl noch Öl, inzwischen sind die Regale wieder aufgefüllt. Jedoch sind alle Lebensmittel, sogar Salz bis zu 50 % teurer geworden. Benzin und Gas sowieso. Durch die lange Trockenheit ist der Strompreis am Hochschnellen und Stromabschaltungen sind wieder an der Tagesordnung. Eine dazu gekommene Hühnerpest bei Durres hat dazu geführt, dass einige Hunderttausend Hühner getötet werden mussten und die Preise für Eier sind um das Doppelte gestiegen. Ich habe für Schwester Michaela inzwischen den Spitznamen «Hamsterin» parat, wenn sie wieder mit einer Fuhre Lebensmittel ankommt, die sie noch zu passablen Preisen irgendwo von einem Lieferer aufgetrieben hat. Und so stehen jeden Tag halt mehr bettelnde Menschen vor unserem Tor und wir können nur Tag für Tag gucken, wie wir Not lindern und helfen können. Eine Flasche Speiseöl und ein Kilo Mehl für eine Mutter mit ein paar Kindern ist schon ein Fest. Und daneben bringen Patienten immer noch Lebens-mittel zu uns, um ihre Dankbarkeit zu zeigen: ein paar Eier, Milch, selbst gebutterte Butter, ein eben für uns geschlachtetes Huhn, oder Spinat und Kopfsalat aus der ersten Ernte vom Treibhaus. Wir geben auch da weiter an jene, die nichts mehr haben.

In unserer Ambulanz haben wir seit zwei Monaten mehr Patienten denn je. Das medizinische System scheint wie ausgeblutet. Viele Krankenschwestern und Ärzte sind in den Westen. Es ist eine Misere ohnegleichen. Ich glaube, ich sage am Tag mindestens einmal, dass ich niemanden mehr übernehmen kann und dann hupt es draussen vor dem Tor. Das bedeutet: Notfall! Und ich sage: «Ok, halt rein mit dem Patienten.» Und so stand da der Andi draussen. Andi war bei uns im Kindergarten. Er war damals sehr vernachlässigt und wurde sehr gewaltvoll erzogen. Seine Mama war völlig überfordert. Die Erzieherinnen sind Andi mit viel Geduld begegnet und konnten dann Vertrauen aufbauen. Und nun, mit 10 Jahren, brachte ihn die Mutter schwer verbrannt zu uns. Andi war völlig verstört und schrie nur immer, seine Hände wären im Feuer geblieben. Was war geschehen? Andi hat einen jüngeren Bruder mit autistischen Symptomen. Und der hat ihn angezündet. Andi war in Flammen gestanden und sein Pullover aus Fliess war in die Haut eingebrannt. An den Rippen hingen die Hautfetzen zusammen mit dem verbrannten Kunststoff herunter und Andi schrie wie am Spiess und zitterte am ganzen Körper. Sie hatten ihm noch kaltes Wasser drüber geschüttet. Er konnte sich gut an mich erinnern und so wurde er langsam ruhiger und konnte kooperieren für die Erstversorgung. Die Wunden waren tief und wir mussten Andi für einige Tage nach Tirana in die Brandklinik schicken. Dort blieb er dann nicht mehr; er kam zurück und der Arzt meint, er wäre hier besser aufgehoben. Wir staunen nur immer, wie viel unsere Kids hier aushalten. Und heute hatte ich dann wirklich den Eindruck, dass es Andi langsam besser geht. Aber die Heilung wird noch etliche Wochen dauern. Als ich ihn heute fragte, was er denn gerne esse, da sagte er ganz feierlich: «Äpfel, Schwester, ich möchte immer nur Äpfel essen.» Und er schaute fast verschämt zu seiner Mama, die den Blick senkte. Äpfel sind teuer, zu teuer für Andis Mutter. Feli brachte ihm zwei Äpfel und der Andi war einfach glücklich. Ab jetzt warten hier nach dem Verbandswechsel halt Äpfel auf ihn. Und ich muss mir derzeit verbieten, in der Ambulanz bei der Versorgung der Kids an die Kinder in der Ukraine, in Mariupol zu denken, die gänzlich unversorgt sind. Es ist schon genug, wie miserabel die Kinder hier versorgt werden. Vor drei Tagen brachten Eltern einen Zweijährigen. Axhi hat noch einen Zwillingsbruder und er ist mit einer leichten Zerebralparese geboren. Wenn er gehen möchte, dann kommt er sofort in den Spitzfuss und in die Spastik. Er zeigt leichte Auffälligkeiten in der psychomotorischen und intellektuellen Entwicklung. Der Krankengymnast hat ihn aber dermassen traumatisiert, dass der Junge inzwischen alles verweigert und bei der kleinsten Berührung losbrüllt. Die Eltern werden völlig alleine gelassen und man hat ihnen nun gesagt, dass er Orthesen braucht, um endlich laufen zu lernen. Mit zwei Jahren müsse er das halt einfach können. Wir werden nun nach anderen Wegen suchen. Und derweil haben wir im Prinzip eine ambulante Sozialstation. Das heisst, wir fahren immer öfters raus in die Dörfer oder auch in die Stadt, um Bettlägerige zu besuchen und Sterbende, vor allem Krebskranke, zu begleiten. Die Warteliste ist lang, die Wege auch teilweise weit und holperig. So sind wir morgen unterwegs Richtung Grenze. Eine Frau mit Krebs und bereits mit offenen Wunden am ganzen Körper wartet auf die Schwestern. Und so war auch ein muslimischer alter Mann im Kirtal, der da seit Monaten liegt und nun von uns gehört hat. Die ganze Sippe wartete auf den Besuch. Und Michael, Lukas und ich wurden nach dem Krankenbesuch bewirtet wie bei einem Staatsbesuch. Aber der alte Mann, Alil, sprach lange mit mit – eben über die letzten Dinge. Er meinte dann schmunzelnd, dass er jetzt schon gehen könnte von dieser Welt und ich solle es dann halt seiner Frau und seinen Kindern sagen, weil die sein Ende nicht sehen wollten.

Viele von Euch haben nach unserem Sorgenkind, dem Edison, gefragt. Nun, wir haben viele bange Wochen gehabt. Endlich, nach vielem hin und her, ist Edison nun im Krankenhaus. Derzeit werden Möglichkeiten gesucht, die multiresistenten Keime zu reduzieren, um dann amputieren zu können. Wir bangen aber immer noch, ob er das alles überlebt, denn seine Blutwerte sind schlechter geworden. Er hat immer noch die Hoffnung auf ein Wunder, dass er die Beine behalten kann. Es ist schwer für ihn und noch schwerer für sein Umfeld, sich mit dem Schicksal, dann ein «Amputierter» zu sein, abzufinden. Dies kommt hier dem Verlust jeglicher Menschenwürde gleich – so scheint es uns wenigstens.

Und derweil ist es Frühling geworden.  Und draussen im Livade, im ehemaligen vermüllten Kanal, blüht langsam der angelegte Garten wieder. Und die Frauen kamen und sagten mir, dass sie nun Haselnusssträucher gepflanzt haben. Und ich müsse mir keine Sorgen machen. Sie werden den Garten selbst gut pflegen und dann müssten ihre Männer im Herbst die Nüsse daheim aufknacken und hätten auch wieder mal was zu tun. Wir trafen uns dann in einem Magazin zum Friedensgebet. Ich hatte mit einigen wenigen Frauen gerechnet. Aber da war am letzten Samstag das ganze Livade auf den Beinen. Und sie beteten aus der Tiefe ihrer Seelen – dies war spürbar. Am Ende kam Katarina mit einigen anderen Frauen etwas verlegen zu mir. Sie wollten ein Geständnis ablegen, wie sie sagten. Ich guckte ein wenig verdutzt und hockte mich auf einen wackligen Stuhl. Dann sagten sie etwas verschämt: «Schwester, wir haben das Vaterunser verlernt. Deshalb konnten wir nicht so gut mitbeten.» Ich bot ihnen an, es wieder zu lernen und sie waren sehr erleichtert und beteuerten, dass sie wieder beten lernen möchten. So werden wir gemeinsam beten lernen. Und so gehen wir – beten lernend – Ostern entgegen.

Wir wünschen Euch allen in diesen Tagen die Tiefe des Gebetes und des Auferstehungs-glaubens. Das Leben ist uns gegeben   -   auf ewig!

Und wir danken einmal mehr für all Eure Solidarität und all Eure Hilfe.

Lebendige, beseligende Ostern!

Eure Schwester Christina

 

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