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Der Rauchmantel der Muttergottes und wenn alles ein wenig wackelt

Liebe Schwestern und Brüder
Wir haben einen wunderschönen Oktobersonntag und eben hat in Elbasan die Erde gebebt. Stärke 4 auf der Skala. Ja, gerade ist alles ein wenig «wackelig» und manchmal wanken hier für die Menschen die Grundfesten auf allen Ebenen des Lebens, wie es scheint.

Und dennoch: ein wunderschöner Tag und Leben allemal. Drüben beim Nachbarn glänzen die reifen blutroten Granatäpfel und warten auf die Ernte. Manchmal ist es hier so schön, dass es fast weh tut. Und dann wieder ist die Erde vom Blut getränkt, wie ein paar Tage vorher mit einem Blutrachemord an einem 18-jährigen gleich drüben – 500 Meter weit weg in Kiras.

Ich möchte Euch ein wenig konkret berichten und vor allem zuerst einen grossen Dank an Euch alle sagen. Eure Unterstützung in jeder Hinsicht ist gross. Die Zeiten sind schwieriger geworden – wir spüren es jeden Tag. Und umso mehr sind wir natürlich dankbar für alle Hilfe, für jedes Gebet, für jedes Zeichen Eurer Solidarität. Und die ist gross. DANKE.

Ja, der Granatapfel ist reif. Ich liebe das tiefrote Glänzen dieser Früchte, den blutroten, ein wenig herben Saft, der schmeckt, wie der albanische Herbst. Eben habe ich ein Glas dieses Lebenssaftes getrunken. Julia, die derzeit mit uns ist, presst seit zwei Stunden Flasche für Flasche. Und dann gibt es daraus noch Granatapfelgelee. Wie ich so nebenher den Saft schlürfe, da denke ich an die noch junge Frau, für die wir vor drei Tagen unbedingt Blut gebraucht haben – so rot und gut wie der Saft des Granatapfels. Irena hatte die Schwer-kranke gebracht und sie war so blutleer, dass sie nur noch durchsichtig weiss glänzte.  Wir wagten nicht, sie aus dem Auto zu lassen, damit sie nicht zusammenbricht. Ihr Hämoglobinwert war so tief, dass es fast ein Wunder war, sie noch bei Bewusstsein zu finden. «Sofort ins Krankenhaus» lautete da unsere Anweisung. Dann kam der Anruf von Irena: «Die haben kein Blut, ihre Blutgruppe gibt es nicht in der Blutbank!» Wir haben inzwischen für solche Patienten so ein kleines privates Netzwerk für potentielle SpenderInnen und das hat bislang relativ schnell funktioniert. Alle kontaktierten wir, aber wir haben Pech. Der eine hatte vor vier Wochen gespendet, die anderen waren krank mit Covid, andere nicht erreichbar. Ich spürte, wie ich in solchen Situationen dann auf «Hochtouren» laufe. Ich wusste ja, dass diese Frau weiter blutet und sie das Blut dringendst braucht. Ich betete um einen Einfall – ich bin in solchen Fällen einfach der Überzeugung, dass der Himmel den Überblick hat und wir halt unsere Antennen weiter ausfahren müssen. Nun, es ging gut. Wir fanden schnell über Don Gjovalini Spenderblut. Und die Frau wurde nun gestern operiert und kann – so Gott will – überleben.

In der Ambulanz haben wir sehr viele Patienten – die letzten drei Wochen waren es jede Woche zwischen 60 und 70 Kranke. Innerhalb von zwei Tagen hatten wir 5 Verdachtsfälle auf Tollwut und diese Sache hat uns in Trab gehalten und mir auch ein paar schlaflose Nächte gemacht. Es gibt hier im Land derzeit keine Tollwutimfpung für Menschen. Nun, der Impf-stoff wurde aufgetrieben und die Patienten sind im guten Heilungsrozess und auf der sicheren Seite.

Draussen in den Dörfern und auch in der Stadt Shkoder häufen sich die Pflegebedürftigen, die wirklich in den Betten dahinsiechen. Wir sind da gefordert. So fuhren wir vor einigen Tagen zu Zef, der seit Monaten dahindämmert. Das Krankheitsbild sieht in etwa so aus:  Er hat einen operierten Hirntumor, Diabetes, ein amputiertes Bein, das andere ist am Verfaulen und er dämmert tagsüber dahin, nachts schreit er vor Schmerzen. Zef war am Vormittag beim Hausbesuch nicht zu erwecken, aber er ist in einem jämmerlichen Zustand. Die Tochter und ihre junge Schweigertochter pflegen ihn. Da er nachts aktiv ist, müssen sie nachts wachen. Dann führten sie uns in das andere Zimmer. Dort liegt die Schwester von Zef. Sie hat seit fünf Wochen ein gebrochenes Becken. Was genau gebrochen ist, konnte man uns nicht sagen. Durch falsche Lagerung ist das Bein voll nach aussen gedreht und in Fehl-stellung. Ob der Bruch so falsch zusammengewachsen ist, wissen wir nicht. Diese Frau hat ebenfalls starke Schmerzen. Langsam wird es kalt und im Krankenzimmer der Frau roch es bereits feucht-schimmelig. Wir konnten einen Ofen und ein Krankenbett zusagen, ebenfalls Schmerzmittel, ein weiteres Röntgen usw. Wieder und wieder ist häusliche Pflege notwendig insbesondere die Anleitung der Angehörigen. Die junge Frau hat uns alle umarmt, dass wir gekommen sind. Und mir ist klar, dass wir auch sie nicht alleine lassen dürfen. Sie ist eine von vielen, die als pflegende Angehörige Hilfe und Ansprache und Anleitung braucht. Die anspruchsvolle Pflege, die Sorge, weil das Geld nicht reicht, die Frage wie es weitergehen soll, wenn es nun kälter wird und weder Strom noch Essen reichen, rauben die Hoffnung und kosten Lebenskraft. Diese Frau ist so jung und hat noch eine kleine Tochter. Ihr Mann versucht in Montenegro als Tagelöhner ein paar Kröten zu verdienen. Die Fahrtkosten dorthin kosten inzwischen fast mehr als er verdient. Wir arbeiten fieberhaft an einem Projekt für häusliche Pflege, aber die Planung braucht noch etwas Zeit. Es ist mir ein Anliegen, dass die Pflegebedürftigen nicht allein in den Wohnungen dahinsiechen und schlichtweg im Bett verfaulen. Jeden Tag kommen Angehörige, um Salbe für Pflegebe-dürftige, die bis auf die Knochen wund gelegen sind, zu holen. Wir sehen da elende Bilder, machen unsere Salbe, geben Verbandszeug mit (was wir halt haben) und geben kurze Anleitung, wie sie die Patienten versorgen sollen. Wir schaffen es nicht mehr, alle aufzusuchen. Die Krebskranken und Sterbenden rufen uns und wir versuchen wenigstens da präsent zu sein, zu lindern, beizustehen und die letzten Dienste zu tun. So konnte Isa nun vor drei Tagen seinen letzten Weg antreten. Er kam vor einem halben Jahr mit einem offenen Tumor am Ellbogen hierher. Er wusste nicht, dass er bereits voller Metastasen war. Wir begleiteten ihn und er wollte von mir wissen, was mit ihm los sei. Er war so ein tapferer Mann und er kam in unsere Ambulanz, so lange er nur konnte. Nun lag er die letzten Wochen im Bett und wir konnten ihm ein Pflegebett bringen, auch Schmerzmittel. Er sagte mir beim letzten Besuch, dass er schon bereit wäre, aber seine Angehörigen wüssten halt nix. Sein Dank für die letzten Monate hat mich sehr berührt und er sagte: «Ich habe einen Menschen getroffen. Jetzt kann ich fortgehen!» Oft denke ich, dass wir sehr begrenzt sind in unserem Tun – mit nix sozusagen vor den Patienten stehen. Und doch: etwas haben wir uns in diesen Jahren sozusagen angeeignet: «Mensch sein kann man immer».

Da passiert dann auch so was: Wir haben im Livade einen alten Mann, der vor einigen Monaten zwei Wochen im Koma lag mit durchbohrter Lunge nach einem Unfall. Wir wurden gerufen und ich fand ihn gurgelnd, zischend und brodelnd vor. Die Notambulanz kam nicht, so wurde er mit einem alten Auto ins Spital transportiert. Unser Gjelosh hatte eigentlich keine Chance, aber er ist zäh. Er hat das überlebt. Kurz vor seinem Unfall hatten wir ihm und seiner Frau die Muttergottes von Lourdes gebracht – für ein paar Tage. Die Menschen hier sind so angewiesen auf etwas «Konkretes», das sie auf den Himmel verweist.  Gjeloshi war damals schon bettlägerig und wollte, dass wir die Muttergottes auf die Kommode vor sein Bett stellen. Nun, diese Tage war es Zeit, sie wieder für die nächste Hauswanderung zu holen. Und siehe da: Gjelosh, der alte Zigarretenraucher, hat die Muttergottes mit seinem Rauch gebräunt. Das Material der Statue hat den Rauch förmlich eingesaugt. Nun trägt sie einen leicht braunen «Rauchmantel» und steht in unserem Konvent bis zum nächsten Krankenbesuch. Tja.

Neulich, als ich sie da so im Konvent angeschaut habe, hatte ich glatt die banale Frage, ob der Heilige Josef die Muttergottes auch ab und zu mit Tabak eingeraucht hat oder mit anderem Raucherzeugs? Könnte ja sein. Und sie erinnert mich halt an das Menschliche, mit dem sie nun bekleidet ist.
Unsere Kids im Kindergarten sind alle sehr lebendig. Gott sei Dank. Eklatant auffällig ist, dass vor allem die Vier- und Fünfjährigen nach dem Wochenende beim freien Spielen ziemlich ausschliesslich «Krieg zwischen Ukraine und Russland» spielen. Mit Bausteinen und Lego, mit Stühlen und Bänken bauen sie «Front» und Gewehre und brüllen dazu. Wir wissen noch nicht so recht, wie wir da unterbrechen. In jedem Fall versuchen wir mit gelenkter Bewegung, mit Kissenschlachten usw. ein wenig umzulenken. Klar ist: was die Erwachsenen tun, spielen die Kids.

In diesem Schuljahr kommen bereits drei Kinder zur Frühförderung. Sie sind behindert und haben bislang noch nie Förderung bekommen. Und vor einigen Tagen kam ein Mädchen mit vier Jahren mit den Eltern und der Leiterin des Sozialdienstes. Die Kleine erlebte wohl ziemlich lange Gewalt in einem Kindergarten. Sie geriet in Panik, als sie bei uns durch die Tür gehen sollte. Der Vater blieb mit ihr draussen und nach einiger Zeit spielte sie mit Sr. Michaela ein wenig Ball – mit Distanz. Dann gab ich Sr. Michaela unser «Therapiekrokodil» aus der Ambulanz und das löste wieder mal den Knoten. Die Kleine näherte sich und «biss» Sr. Michaela mit dem Krokodil. Endlich hatte sie wohl einen starken Helden mit sich, der sich auch wehren kann. Sie liess das Krokodil fressen und fressen. Dann geschah etwas Kolossales für alle: unsere Haustüre war offen geblieben. Obwohl die Eltern gesagt haben, dass sie nirgends mehr hingeht, kam sie plötzlich doch ins Haus. Es war Zeit zum Abendessen und alle von uns gingen bereits zu Tisch – ausser ich. Die Kleine marschierte rum und ging in den Konvent, wo alle am Tisch beim Essen sassen. Da sah sie Antonio, wie er in seinem Teller das Essen bekam. Schwups nahm sie ihm das Teller aus der Hand schnappte sich den Löffel und ass und ass – im Stehen. Zu sitzen war ihr noch zu gefährlich. Und sie fühlte sich wohl und wollte bleiben. Die Eltern waren fast überwältigt von dem, was sie erlebten.
Die Muttergottes mit dem Rauchmantel in der Ecke hat hier vielleicht einen kleinen  «Schubser» gegeben. Und solche Schubser brauchen wir wohl auch immer wieder, denke ich: Schubser der Kreativität und des Glaubens und der Hoffnung – auch in Zeiten, die «Zerstörung und Krise» rufen möchten.

So schiele ich ab und zu auf unsere Muttergottes mit dem Rauchmantel und das kleine Mädchen mit dem Suppenteller von Toni. Sie zeigen uns einen ganz kleinen Weg der Hoffnung, der vielleicht ganz gross ist.

Euch allen wünschen wir einen guten Oktober und den Segen des Himmels und danken für alle Zeichen Eurer Solidarität

Eure Sr. Christina mit Sr. Michaela

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