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22 1Ein letzter Wunsch

 

 

 

Ein letzter Wunsch

Sie sagt, sie hat schon lange von uns gehört und nun kommt sie von einem Dorf in der Nähe. Ihr Bruder mit 43 Jahren liegt sterbenskrank zu Hause. Sie wissen nicht mehr weiter, das Krankenhaus hat ihn nach Hause geschickt. Und sie sind hoch verschuldet, weil er ständig ganz teures Albumin braucht. Sie bittet mich, ihren Bruder anzuschauen, in ihr Haus zu kommen.  Mir ist klar, dass diese Frau einfach nicht mehr kann. Und ich fahre gleich am Nachmittag raus, verschiebe die andere Arbeit wieder mal. Dann bin ich bei der Familie. Die alte Mutter von Martini, dem Patienten, kommt mir entgegen. Sie ist schwer zu Fuss. Und da liegt der Kranke im Wohnzimmer. Er stöhnt und stösst monotone Laute aus. Sie sagen, dass er dies so macht, seit «die Krankheit sein Gehirn befallen hat». Und sie sagen mir auch, dass er auf niemanden reagiere, halt nur diese Laute von sich gibt. Sie erzählen, dass er auch nachts nicht schläft, trotz der Schlafmittel. Und manchmal, da schreie er und schlage um sich. Ich nähere mich langsam und achtsam dem Bett und spreche Martini halblaut an. Er ist nun plötzlich ganz ruhig und hört auf zu lautieren. Ich gehe in die Hocke und berühre seine Hand. Einen Moment zieht er zurück, ich lege meine Hand auf sein Bett. Dann tastet er nach mir. Seine Augen sind geschlossen und die Angehörigen sagen, dass er sie schon lange nicht mehr geöffnet hat – so drei, vier Tage. Ich erzähle, woher ich komme, dass es bald Weihnachten ist, dass es noch keinen Schnee in den Bergen hat und dass wir alle auf das grosse Geburtsfest warten. Ich frage ihn, ob er die Weihnachtsgeschichte kennt und da nickt er. Jetzt werden seine Angehörigen, die mich bisher nur fragend angestarrt haben, lebendig. Sie sagen: «Er hat sie verstanden, er hat die Schwester verstanden!» Dann geschieht für die Umstehenden etwas Unfassbares, für mich weniger: Ich sage Martini, er soll doch mal die Augen öffnen und gucken, wer ich bin. Tatsächlich öffnet er die Augen, als wäre er im Dornröschenschlaf gewesen. Und dann frage ich: «Martini, sag mir, was du noch für einen Wunsch hast.»

Er schliesst die Augen wieder, öffnet sie, seine Kehle verkrampft ein wenig, er versucht angestrengt, gezielte Laute zu bilden und presst dann angestrengt raus: «Ich möchte nach Lac.» Er wiederholt es. Ich gucke hoch zu den Angehörigen. Die wiederholen: «Er möchte zum heiligen Antonius nach Lac», zum grossen Heiligtum der Albaner. Mir ist klar, dass dies wichtig ist. Die Angehörigen erlauben mir, diesen Wunsch zu realisieren. Ich sage Martini, dass ich seine Wallfahrt zum Hl. Antonius vorbereiten werden. Er nickt und lächelt. Ich segne ihn und bete noch. Wieder lächelt er.

Und nun ist alles vorbereitet und Martini wird noch vor dem Heiligen Abend nach Lac gebracht. Der Heilige Antonius mit dem Jesuskind wird dort auf ihn warten, da bin ich sicher.

22 dez 2022 

Bildquelle:

Fotograf: Ndok Piniqi

Quelle: https://wordpress.org/openverse/image/dc740c1e-56af-43af-bc26-1892783cf45d

 

 

 

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