Ein Kleiner Pfad aus dem Chaos
Ein kleiner Pfad aus dem Chaos
Zum dritten Mal nach dem Erdbeben treffe ich ein paar schwer Betroffene, die hier in Shkoder bei den Vinzentinerinnen Shelter gefunden haben. Wir arbeiten gut zusammen. Die Schwestern haben den Platz, wir ein bisschen Erfahrung und einiges Material.
Eigentlich sind alle von ihnen wirklich schwer traumatisiert. Ihre Häuser sind über ihnen zusammengebrochen. Ich wage es, einen kleinen Haufen zerbrochener Ziegel in die Mitte zu werfen. Endlich haben einige Tränen, die seit drei Tagen stumm geblieben sind. Ruhig spreche ich den inneren Zustand an, aber auch, dass das grosse Beben vorbei ist. Dann werden die Beteiligten eingeladen, eine Idee zu entfalten, was wir nun aus dem Schutt-haufen machen. Die junge Frau neben mir sagt, sie habe keine Idee. Vorsichtig nimmt Vilma sie an die Hand und dann greift das Mädchen zögernd nach einem kaputten Ziegel und dreht ihn fast hilflos hin und her. Sie braucht ein wenig Zeit. Es ist wie eine innere Entscheidung, die sie zum Leben hin machen muss oder nicht. Ich bete leise für sie. Dann löst sich was in ihr und sie nimmt den Ziegel und legt ihn zurecht. Dann nimmt sie einen nächsten und fängt an, die Ziegel aufeinander zu legen. Ein junger Vater kommt auch, und fängt an zu bauen, dann eine Frau, dann ein anderer. Alle sind beteiligt. Es entsteht eine Grundmauer, wie bei einem Haus.
Ich habe andere Sachen dabei: eine Blumenzwiebel, Kerzen, Moos. Sie bauen und zünden Kerzen an. Vorsichtig kommentiere ich. Dann nimmt das sehr traumatisierte junge Mädchen den Engel und stellt ihn in die Mitte des aufgebauten Werkes. Alle verharren, ein Mann nickt und nickt. Er schaut mir sehr offen ins Gesicht und nickt wieder. Er hat alles verloren, aber es scheint, er versteht nun, um was es jetzt geht. Es ist eine gute Ruhe und grosse Wärme und Sicherheit im Raum. Wandlung?
Wir halten uns an den Händen, beten das Vaterunser. Ein Mann möchte nochmal eine Kerze anzünden – für seine Freunde.
Ob ein kleiner neuer Pfad aus der Lähmung gefunden ist? Gott gebe es. Wir treffen uns wieder.