Sie sollen an Weihnachten nicht mehr frieren
Ich bin unterwegs zu einer Familie mit fünf Kindern. Sie sind bettelarm, aber jeden Sonntag in der Kirche. Im Livade, nahe am See wohnen sie. Das heisst, wohnen kann man es nicht nennen. Sie versuchen, dort irgendwie zu überleben. Sie wollten ein Haus bauen, das ging schief, da die Frau ihre Arbeit verlor und der Mann nur so viel verdient, dass es zum Überleben reicht. Ich atme tief durch, als ich zum Rohbau laufe. Die zwei Töchter sehen mich und reissen die wackelige Türe auf. Ich stehe im Beton: Für die letzte Aussenwand haben die Ziegel nicht mehr gereicht; der Vater hat mit Holz und Plastikfolie dicht gemacht. Die Fenster fehlen, nichts ist verputzt. Der Wind pfeift schon am Nachmittag durch die Ziegellöcher. Der Boden ist blanker Beton, dürftig decken ein paar alte Teppiche ab. Ich frage mich, wie dieser Winter einigermassen überstanden werden kann. Sie sind in den Rohbau gezogen, da die Miete in der Stadt nicht mehr bezahlt werden konnte. Das Elend ist greifbar. Die zwei Grossen der Familie sind schwer anämisch, zum Essen reicht es auch nicht immer. Fünf Mäuler zu stopfen ist schwer. Der Vater wollte alles für seine Kids tun. Er weint. Uns ist klar, dass wir sie nicht erfrieren lassen können. Und ich denke an das Märchen: das Mädchen mit den Schwefelhölzern, das ich als Kind hundertmal gelesen habe und hundertmal habe ich darüber geweint. Und auch heute sind mir die Tränen gekommen.