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Um die Jahreswende und von der Sehnsucht


Liebe Schwestern und Brüder ,liebe Freunde in der Heimat


Grüss Gott am Fest der Erscheinung des HERRN. Abraham hat heute früh schon die Drei Weisen aus  dem Morgenlande von der Krippe weggeholt und auf den Frühstückstisch gestellt. Und ich dachte  über diese Lektion nach, wem und was er uns da aufgetischt hatte:  und mir viel nichts ein, als mich  zu fragen: „Habe ich die Sehnsucht dieser Weisen auch nur annährend, oder bin ich beruhigt, wenn  sie da an der Krippe bleiben und irgendwann wieder abziehen?“  Das so zum Fest.


Und über Sehnsucht, über meine Sehnsucht nach Gott, die Sehnsucht jener um mich herum,  da möchte ich nachdenken in diesem neuen Jahr.  Ja, da war eine Sehnsucht nicht nur nach ein paar  Paketen, nach „Materiellem“, diese Tage um uns herum zu spüren: Die Weihnachtstrucker kamen wieder – mit 7000 Paketen. Viele, viele Menschen aus Deutschland haben diese Pakete gepackt, die Truckerfahrer haben sehr lange gesammelt, sich auf den Weg gemacht, um Freude zu bringen. Voran die Johanniter, die wieder so viel organisiert haben. Ich sehe darin auch die Sehnsucht von vielen, vielen Menschen im reichen Westen, mit andern zu teilen. Wochen vorher wurden wir hier bereits wieder angefragt, ob die Leute mit den Paketen wieder kommen. Und wir spürten und spüren: es ist  eben mehr als das Paket, es ist wie ein nicht vergessen sein für die Armen, es ist wie ein wenig  Wertschätzung erfahren durch so ein Paket, es ist ein wenig gestillte Sehnsucht nach dem nicht vergessen sein. Gott ist in diesen Tagen näher, so meint man. Aber da gibt es natürlich auch das andere:  die Angst, nichts zu bekommen. Und wo die Not grösser geworden ist, da ist oft auch die Aggression grösser, die Kampfbereitschaft für ein Paket. Nun, ich beginne von vorne: 

Der 28. Dezember war der Ankunftstag der Truckerfahrer – über die Fähre in Durres wurden sie  erwartet. Die Nacht war windig und mit viel Regen. Schwester Michaela fuhr sehr früh morgens weg – ausgerüstet mit dem Begrüssungskaffee. Wir hier waren am Herrichten für 17 „Truckis“ – schon alte  Freunde  sozusagen. Schwester Josefa war extra aus Rheinau gekommen, um den ganzen Haushalt zu  „schmeissen“.  

Nebenhier lief die Ambulanz, da wir gerade sehr schwer verbrannte  Patienten haben. Mit zwei Stunden Verspätung kamen die Trucker an. Da eine Neujahrsfeier in Tirana war, konnte der Zoll  jedoch um 15.00 Uhr nicht mehr abgewickelt werden. Das hiess: Kein Abladen mehr am Abend! Zusätzlich fiel noch der Strom aus. Ein Anruf von einem Behördenmitglied bei der Stromgesellschaft  genügte jedoch diesmal und es machte wieder „klick“! Weiterkochen war gewährleistet. Nun, das Steckenbleiben im Zoll sind wir inzwischen auch gewöhnt. Und wir versuchen dann, solche Störungen als Chance zur Entschleunigung zu sehen. Wir hatten Zeit, mit den Truckerfahrern zu reden, schon  mal den Verteilungsplan anzugucken usw. Und wir beteten um gutes Wetter, denn es regnete in Strömen.  

Und am nächsten Tag war aufgehellt – wider den Vorhersagen - nach dem Wetterplan des  Allmächtigen - so konnten wir die Pakete ohne Aufweichen abladen und verteilen. Ich ging, wie jedes  ahr, erstmal mit zum Verteilen zu den Roma. Es war wieder grosser Aufmarsch und die Kids scharten  sich um uns. Auf einen Fingerzeig von mir mit eins, zwei, drei legten sie dann los und sangen und klatschten.

Dann erfuhren wir, dass die Beerdigung eines jungen Roma  ist und ich entschied, noch zur Trauersippe zu gehen. Alle Trucker kamen mit. Schon von weitem war das Klagen der Frauen zu  hören. Und der ganze Hang war voll von Trauernden. Der junge Mann mit 23 war mysteriös in  Frankreich umgekommen. Jetzt war er im Sarg mit Glasbedeckung und ich habe selten so ein schönes Gesicht gesehen. Die Trauer der Roma war ohnmächtig und ich spürte auch Wut. An der Wand  war ein überdimensional grosses Foto von dem Jungen und darunter stand: „Wir wollen Gerechtigkeit für unseren Sohn!“ Eine Tante, die auch Klagefrau war, sagte zu mir: „Wir wollen uns Gerechtigkeit holen, wenn wir sie nicht bekommen!“ Alle guckten mich erwartungsvoll an. Nun wusste ich, dass ich  sprechen musste. Zuerst zündete ich eine Kerze am Sarg an. Dann sagte ich ihnen,  dass ich sicher bin, dass dieser Junge jetzt da ist, wo es nur Gerechtigkeit gibt und Sicherheit und Leben in Ewigkeit. Und  ich sagte, dass am Ende alles gut wird, egal, ob sie auf Erden zu ihrem Recht kommen oder nicht. Wir  sind ja nur Pilger hier, sagte ich, ein Volk unterwegs, wie sie ja wissen, mehr als ich“.  Und alle  stimmten zu, sie horchten auf, sie küssten mir die Hand und dankten für den Trost. Es war wichtig,  dass wir diesen Besuch gemacht haben. Und sie freuten sich über das Paket von den Truckerfahrern.

Nachmittags waren wir in der Romakommunität am Fluss. Diese Roma müssen ihrem „Besitzer“ für  Wellblechbuden eine Menge Miete bezahlen und gehen dafür tagsüber in die Stadt zum Betteln. Wir  hatten berechtigte Sorge, dass Pakete bei ihm abgeliefert werden müssen. So verteilten wir an die  Kinder Bananen und hatten Schuhe und Strümpfe dabei. Die Armut dort ist so gross, dass die  Verteilung beinahe in einer Schlägerei geendet hätte. Zum Schluss regnete es dann wieder in  Strömen. Ein kleiner Junge kam barfuss an. Er verschlang auf meinem Arm eine Banane, dann gab ich ihm Schuhe. Ehe ich es überhaupt richtig begriffen hatte, glitt er von meinem  Arm und raste mit seinen Schuhen in den Armen über den verschlammten Platz Richtung Wellblechhütte. Der Schlamm spritzte über ihm hoch, ein Hund jagte ihm nach.

Am Samstag stand dann ein eher abenteuerliches Verteilungsprogramm für uns auf dem Programm.  Von Don Gjovalini wurden einige Pakete erbeten für ein paar Familien in einer sehr abgelegenen Gemeinde. Ein altes Ehepaar mit dem Enkel leben dort isoliert in Blutrache. Ich war bereits früher mal zu Besuch, er selbst wollte mit einigen Truckerfahrern und mir den Erstbesuch dort machen. Das Wetter hatte sich beruhigt und wir wagten es. Luise, Heidi, Manfred, Heinz, Lukas, Don Gjovalini und ich machten uns, ziemlich bepackt und winterfest, auf den Weg. Wir mussten mit einem Boot über  den Stausee. Nach einer kleinen Panne brachten uns die zwei Bootsführer da sicher rüber. Die Sonne  schien und es war fast wie in einem Western. Wir überquerten einen Hügel und wollten ins Flussbett.  Nach bereits hundert Metern kamen wir nicht mehr weiter, da der Fluss zu viel Wasser hatte. Der  einheimische Bootsführer erinnerte sich an einen Pfad, der vor 20 Jahren begangen wurde und schlug die ersten Dornen und Tritte für uns. Ein Indianerfilm ist ein Dreck dagegen. Wir lachten. Der Bootsführer hatte sehr viel Sorge um mich und nahm ständig meine Hand. Ich nahm auch ganz dankbar an, als es den schlammigen Pfad steil rauf ging. Dann waren wir beim Haus der Blutgeber. Die alte Frau sagte mir, dass ihr Mann seit Wochen wie gelähmt im Bett liege und gar nicht mehr auf die Füsse komme. Aber sie gab uns Einlass. Der Priester und ich gingen zuerst rein. Wir begrüssten  den Alten und der schlug das Kreuz. Über seinem Bett war eine Leine mit Trockenfleisch gespannt.  Dann sagte ich, dass da Deutsche gekommen seien, um ein Paket zu bringen. Beim Wort „Deutsche“  sass er aufrecht im Bett, dann am Bettrand und suchte nach seinen Pantoffeln. Er war nicht mehr zu  bremsen. Er suchte nach einer alten silbernen Schachtel unterm Bett und nestelte unter dem  Kopfkissen einen Beutel mit Tabak hervor. Damit füllte er die Silberschachtel. Dann fingerte er nach  seiner Mütze und seinem alten Frack und delegierte uns in die Wohnstube. Mark, so heisst der alte  Mann, hielt eine Rede. Er beteuerte ganz feurig, dass er gar kein Paket brauche, es reiche ihm so ein hoher Besuch völlig. Dem Priester sagte er, wie er doch ganz und gar unselig sei, weil er in dieser  Blutrachesituation wegen seiner verstorbenen Söhne sei. Der beruhigte ihn und sagte, er komme in  den nächsten Wochen zur Beichte und bringe auch die Hl. Kommunion. Der Alte war zufrieden und  hatte dann wieder ein grosses Lob und seinen Dank auf die Gäste. Er lebte sichtlich auf und seine Augen waren glänzig, als er von dieser Ehre des Besuches sprach. Wie lange mag er keine Menschen  gesehen haben ausser seiner Frau und seinem Enkelsohn. Dann verteilte der Alte, wie ganz in der Tradition,  Zigarettenpapier und Tabak und der Rauch stieg mir ätzend in die Nase. Beim Raki trank dann stellvertretend D. Gjovalini für uns alle und Mark, der Alte, sagte: „Gelobt sei Jesus Christus!“  und kippte einen. Und er wollte, dass wir alle lange bleiben. Die Sehnsucht nach Gemeinschaft, nach  Kontakt, nach Mitteilung seiner selbst war immens. Als wir gingen, liess er es sich  nicht nehmen, mit  uns bis an die Grundstücksgrenze zu gehen. Ich dachte an „Auferstehung“ in der Weihnachtszeit.  Unterwegs gab es noch über den Fluss einen Zuruf an eine andere Familie. Die kamen durch das  Wasser, um ihr Paket abzuholen. Diese Menschen dort sind bettelarm, leben einzig von ein bisschen  Tabakanbau, der nun auch besteuert wird. Und im Winter sind sie oft völlig isoliert, weil Schnee und  Wasser kein Rauskommen ermöglichen. Wer krank wird, der kann nur warten. Die einzige Zufahrt ist  eine von einer Raupe ausgehobene Fahrspur, die aber seit langem verschüttet ist. So ist auch der  Priester immer alleine zu Fuss unterwegs und legt viele anstrengende Kilometer zurück, um einem  Schwerkranken die Sterbesakramente zu spenden oder einfach die Menschen nicht alleine zu lassen.  Nach Neujahr bat er uns nun, zu einer Familie zu kommen, deren behinderte Tochter schwere Gleich- gewichtsstörungen hat. Wir werden einen Besuch machen, sobald wir nur können.

Als ich dort übers Wasser fuhr dachte ich unwillkürlich an die Bootsfahrt Jesu auf dem See. Und ich fragte mich, ob ich aussteigen würde, wenn ER mich nun rufen würde, übers Wasser zu kommen. Und ich wusste in diesem Augenblick, dass ER uns oft ruft, den Gang anzutreten, der uns nur auf IHN blicken lässt – egal, was aussen rum ist. ER sorgt – auch in diesem Jahr - wenn wir für uns sorgen lassen und nicht meinen, alles selbst machen zu müssen.  

So erwarten wir jeden neuen Tag in diesem Jahr und wir grüssen Euch alle mit dem Wunsch, der
inneren Sehnsucht nachspüren und nachgehen zu dürfen.

Mit herzlichem Segensgruss
Sr. Christina

 

jahreswende 2017 2018

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