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Hart

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Freunde in der Heimat

Das Jahr ist einen halben Monat jung und wir grüssen Euch alle zum Beginn und wünschen Euch „a guad`s Neis“ mit der Hilfe Gottes. Etliche von Euch sind im Tiefschnee und wir hoffen und beten, dass es nicht zu arg wird. Wenn ich hier aus dem Fenster gucke, dann hängen da einige orange Kaki am Baum. Wir haben sie für harte Winterzeiten den Vögeln gelassen. Ja, hart ist es auch hier mit dem Winter geworden. Die Spatzen und die Rotkehlchen, die Meisen und die Finken und auch mal die Elster picken an den Kaki, die tief gefroren sind. Die Schulen waren die halbe Woche geschlossen, da die Heizungen nicht funktionieren, nicht existieren oder das Heizmaterial fehlt. Die Strassen sind aufgrund des Schneefalls im Prinzip nicht befahrbar; Sr. Michaela hat sich ab und zu durchgeschlagen in die Stadt. Aber da braucht es dann vor allem gute, sehr gute Nerven und noch bessere Fahrpraxis im Schnee und Glatteis. Keiner ist hier im Tal auf Schneefall über drei Zentimeter eingestellt und ausgerichtet. Ein Mann hat gesagt, in der Stadt haben sie nicht mehr Salz gestreut, als er Salzkristalle selbst in seinen Nieren habe. Wir haben uns seit letzter Woche sozusagen eingebunkert. An die Bewohner hier teilen wir immer noch Holz, Öfen, Decken und natürlich Winterkleidung und Winterschuhe aus. Das letzte Paar Winterschuhe für Erwachsene habe ich gestern Abend noch her gesucht. Eine Familie aus dem Dukagjin, wo der Schnee meterhoch liegt, hat uns angerufen und sich für die Pakete der Weihnachtstrucker bedankt. Das Paket ist das Überleben jetzt, sagten sie uns.

Schwierig ist es für die Patienten der Ambulanz zu uns durchzukommen. Als ich draussen Schnee räumte, kam eine junge Frau mit ihrem 8jährigen Sohn durch das Schneegestöber an. Andy hat sich das gesamte Bein verbrannt. Die bettelarme Frau fand niemanden zum Fahren, da sich niemand auf den Weg traute. So lief sie, im dritten Monat schwanger, mit Andy auf dem Rücken gute zwei Kilometer hierher. Und Andys verbranntes Bein war unbekleidet und zeigte neben den Verbrennungen auch noch Erfrierungen, ebenso das andere nackte Füsschen. Nach der Versorgung ackerte sich Sr. Michaela mit den Beiden dann mit dem Auto durch den Schnee. Letzte Woche hatten wir dann vier weitere Erfrierungen an den Extremitäten. Die Wunden der Patienten, vor allem die Brandwunden wickeln wir zusätzlich mit Watte ein. Da haben wir schon kiloweise gekauft.


Trotz der Schneelage entscheide ich mich zu einer Rächerfamilie zu fahren. Dort gab es einen Todesfall und der Blutgeber, also das Opfer, ein junger Familienvater, ringt in der Klinik nach einer Operation mit dem Tode. Ich muss einen weiteren Versuch der Versöhnung starten. Schon seit einigen Tagen bete ich darüber und ich weiss, dass ich mich nun auf die Füsse machen muss. Ich packe ein paar  Kerzen und auch Weihwasser ein und Schwester Michaela gibt mir den Segen. Einigermassen komme ich durch die verschneiten und vor allem vereisten Gassen im anderen illegalen Stadtteil. Wieder einmal fallen mir die Mauern, teilweise abgesichert mit Glasscherben, auf. Und am Horizont schauen die Schneeberge im von der Blutrache  getränkten Dukagjin friedlich, dass es mir unmöglich scheint, dass der Kanun dort drüben geboren wurde. Endlich bin ich in der Nähe des auch von einer hohen Mauer eingekastelten Hauses des Rächers. Ich lasse mein Auto in einiger Entfernung stehen und ein Junge verspricht mir, es zu bewachen. Ein wenig zögerlich stapfe ich durch den Schnee und steh dann vor dem verrammelten Eisentor von der Witwe. Ich klopfe und schnell fragt mich jemand, wer ich sei. Dann macht sie selbst mir auf. Sie ist in Schwarz und hinter ihrem Rücken haben eben drei junge Männer (zwei davon ihre Söhne) einem Schwein den Garaus gemacht. Das Blut wird gerade gerührt und ich möchte nicht weiter denken, ob diesem Bild. Hier in dieser Sippe ist schon viel anderes Blut geflossen.  Der junge Mann grinst mich an und meint, ich haue gleich ab. Ich grüsse hinüber und wünsche gute Arbeit. Ich spüre, dass ich nicht gerade erwünscht bin. Die Witwe kennt mich und weiss in jedem Fall, warum ich komme. Sie bittet mich immerhin ins Haus. Im Zimmer steht noch eine kleine Weihnachts-Krippe mit der Heiligen Familie. Ich kondoliere zum Tod ihres Vaters und bitte dann um seiner Seelenruhe willen um die Freilassung von Paul und seiner Familie, um Versöhnung nach so vielen Jahren. Ich versuche, für den schwersterkrankten Paul ein wenig Empathie zu wecken, noch Versöhnung zu erreichen. Die Witwe ist zuerst sehr offen - dann kommt die blutjunge Tochter, deren Vater damals umkam. Sie kann sich nicht an ihren Vater erinnern. Und böse misstrauische Blicke gucken mich an. Und dann streifen diese Blicke die Mutter und alles ändert sich. Mir wird klar gemacht, dass ich hier nichts zu suchen habe und dass sie ihre Sache schon mit dem lieben Gott ausmachen und auch vor dem Angesicht des Höchsten einmal diese Rache verantworten werden. Ich denke, dass jetzt nur noch die Knarre fehlt… Ich weiss, dass ich keinen weiteren  Versuch mehr starten kann und darf. Sonst sind  womöglich Paul und seine beiden kleinen Söhne sofort gefährdet, da die Rächer verärgert sind und die Sache gleich erledigen (wir haben Fälle, wo die Polizei vor dem Krankenzimmer stehen muss, damit Rache nicht geübt wird. Und Landesgrenzen spielen dabei nicht unbedingt eine Rolle). Gott sei Dank kann ich einigermassen ruhig bleiben. Als ich die Kerze wieder einpacke, spüren sie jedoch, dass ich es sehr ernst meine. Ich sage, falls sie es sich anders überlegen, wissen sie ja, wo wir sind. Dann gehe ich, aber ich trauere und möchte eigentlich über diese totale Verirrung wieder mal weinen. Die Witwe hat ihre Tochter und ihre Söhne zur Rache für ihren Mann, der selbst dreimal getötet hat, erzogen. Ich gehe und weiss einmal mehr, wie sehr dieses Land des Gebetes bedarf und der harten Arbeit, um den Kanun auszulöschen und wirklich zu evangelisieren. Umso härter werden wir arbeiten. Die Seelen sind verirrt.

Und so kommt gleich danach eine Familie mit einem dreijährigen Jungen in die Ambulanz. Der Kleine wollte Feuerwehrmann sein als der Vorhang durch eine Gasfunzel in Brand geraten ist. Er hat den Vorhang heruntergezogen und dieser fiel brennend über ihn. Der Kleine hatte Glück im Unglück und nur die gesamte Kopfhaut ist verbrannt. Wieder spüre ich etwas seltsam Bedrückendes über dieser jungen Familie. Ich frage vorsichtig nach: Sie waren 5 Jahre in Deutschland, dort ist Leo geboren. Er ist jetzt Drei. Und in Blutrache! Sie mussten zurück. Der Kleine weiss noch nichts von seinem Schicksal. Die Eltern können es noch verheimlichen, solange er nicht alleine auf die Strasse möchte. Sie haben Angst und ich nehme kurz und fast schützend Leo in den Arm. Der Winter ist kalt, die Rache ist kalt. Ich bete um Versöhnung, wir gehen wieder zur Witwe.
Und ich grüsse Euch von Herzen und danke für alles.


Eure Sr. Christina mit allen hier im Klösterle

 

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